Freitag, 7. November 2008

Es ist Montag

Als der voll besetzte Bus mit gleichmäßiger Geschwindigkeit über den Asphalt rollt, sind die Passagiere still. Keine Unterhaltungen, starre Blicke in die endlose Leere, die sich vor ihren Augen auftut. Nur das röhrende Geräusch des Motors erfüllt den Raum und hinterlässt eine kurzweilige Spur draußen auf der Straße. Eine scharfe Bremsung, eine Linkskurve. Fester umklammern die vielen Hände die dafür vorgesehenen Metallstangen, für einen kurzen Moment kommt es zu Berührungen sich fremder Schultern. Ein reflexartiger Ausgleich der Fliehkraft, die Blicke bleiben in der Ferne. Vorne im Bus hockt ein Mann quer auf seinem Sitz. So kann er die Haltestange besser greifen, wenn es nötig ist. In leicht gebückter Haltung und mit den Beinen gerade vor sich auf den Boden gestellt, wirkt er kleiner, als er es ist. Seine Hände sind auf dem Schoß gefaltet, in den Armen liegt ein schwarzer Rucksack. So sitzt er jeden Nachmittag um vier Uhr da, denn dann hat er Feierabend. Mit weit geöffneten Augen verfolgt er durch seine Brillengläser was um ihn herum geschieht. Da, eine Bewegung links von ihm, ein Mann greift in seine Hosentasche um ein Handy hervorzuholen. Ein Ellenbogen, der fast seine kurzen Haare streift, hastig guckt er hinauf. Doch meistens passiert nichts, regungslos fügen sich die Menschen den Bewegungen des Busses. Das versteht er nicht. Es ist ein schöner Nachmittag, findet er. Das Wetter ist gut, so wie es gestern in den neunzehn Uhr Nachrichten angekündigt worden war. Draußen die Landschaft und die Häuser der Stadt, in der er sich zu Hause fühlt. Sein Leben ist gut, denkt er. Von dem was er hat, kann er gut leben und Wünsche können in Erfüllung gehen, wenn man wirklich daran glaubt. Der grimmige Gesichtsausdruck der Frau auf dem Sitz gegenüber irritieren ihn. Stimmt etwas nicht? Ein junger Mann flucht, als er in der nächsten Rechtskurve kurz den Halt verliert. Einsame Worte, die in der allgemeinen Anteilslosigkeit untergehen. Mit seinen großen Augen hat er die Situation genau verfolgen können. So etwas passiert, denkt er sich. In diesem Moment ist durch die Fenster die Fassade der Kathedrale zu sehen. Zufrieden blickt er auf die großen Zeiger seiner Armbanduhr. Es passt, auch heute ist der Bus nicht spät. Schon die nächste Station ist seine. Nachdem der Bus zum Stehen gekommen ist, verlässt er seinen Sitz, setzt sorgfältig den Rucksack auf und hastet dann durch die Türen, bevor sich diese wieder schließen. Ein kurzes Getümmel, mit eiligen Schritten verschwinden die Mitausgestiegenen in verschiedenen Richtungen. Eine Frau steht einsam an der Bushaltestelle. Es ist seine. Er seufzt erleichtert und lächelt ihr zu. Verlegen lächelt Sie zurück, jeden Tag steht sie hier, wenn sie kann. Früher konnte sie öfter. Erst als er schützend einen Arm um sie legt, traut sie sich die viel zu warme Wollmütze abzunehmen. Es sind nur ein paar Meter bis zur Wohnung, sie schmiegt ihren kahlen Kopf an seine warme Schulter. Es ist Montag.

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