Dienstag, 25. November 2008

Die Petition

Ich gehe auf die Straße, noch heute. Mache Lärm und schreibe Schilder. Kommt und unterzeichnet meine Petition. Eure Unterschriften, ich brauche sie alle. Halten wir zusammen, dieser Kampf ist wichtig. Es ist nicht fair. Es fehlt das Mitspracherecht. Viel zu plötzlich, immer wieder werden wir überrumpelt. Einmal geschehen, die Rückkehr unmöglich. Eingesperrt, festgehalten auf dem Weg nach vorne. Wir protestieren für die Freiheit.

Kommt mit, man darf nicht länger Schweigen. Viel zu oft vergraben, versteckt, versucht zu vergessen. Doch heute platzt es aus mir raus, das Fass ist übergelaufen. Ich habe genug von ihr und ihren mächtigen Armen. Kommt hinaus, rennt mit mir durch die Straßen, setzt euren Namen auf die Liste. Wir verbannen sie aus unserem Leben. Für heute und in Ewigkeit - Eine Petition gegen die Vergangenheit.

Bitte dreh dich nicht

Bitte dreh dich nicht um. Ich stehe hier und sehe dich dort unten sitzen. Einsam an deinem Tisch, ein Stockwerk tiefer, die offene Architektur ermöglicht den Blick. Konzentriert schaust du auf den Bildschirm, die Maus in der Hand, eine Flasche Wasser in der anderen. Es ist dein Platz, du sitzt mit dem Rücken zu mir. Bleib so, es ist schön dir zuzusehen. Bitte dreh dich nicht.

Ein anderer Tag, du sitzt da, ein Mann neben dir. Zusammen wühlt ihr durch Blätter, gestikuliert, nickt im Einverständnis. Du bist nicht allein, um dich herum sitzen auch die Anderen. Nur eine Bewegung in die falsche Richtung, ein unschuldiger Blick, und ich wäre enttarnt. Bitte dreh dich nicht.

Ich wende mich ab, vergrabe die Hände tief in den Anzugtaschen. Blicke durch den Raum, erwache aus diesem Tagtraum. Hier oben ist mein Platz, doch du kennst ihn nicht. Ich lasse mich wieder in den Schreibtischstuhl sinken, nehme einen Schluck Wasser und Blicke auf die Uhr.

Ich stehe auf, strecke mich. Gestützt auf das Geländer, der Blick hinab, ein leerer Stuhl. Du bist nicht da. Nur deine Handtasche und ein Handy verraten, dass du nicht weit sein kannst. Mein Blick schweift durch den Raum, müde reibe ich mir die Augen. Meine Wasserflasche ist leer, ich gehe zur Tür. Sie öffnet sich.

Du stehst vor mir, siehst mich verdutzt an. Ich kann deine Augen sehen,  zum ersten Mal. Mit einer Hand hältst du die Tür auf, links ist Platz, doch du bewegst dich nicht. Dein irritierter Blick weicht einem verlegenen Lächeln. Ich bin wie gelähmt, stehe nur da. Doch dann öffne ich den Mund und sage diese Worte. Zum ersten mal laut und nicht nur in Gedanken. Es ist schön dich zu sehen. Bitte, bitte dreh dich nicht.

Mittwoch, 12. November 2008

Ich bin wieder hier

ich bin wieder hier
hab lange genug gewartet
in der pausendusche gebadet
kleinkram erledigt
ich bin wieder hier
habt lange genug auf mich gewartet
rechnet mit mir
ich steige mit ein
geb alles was ich habe
mich selbst als einsatz
lange im nichts verschwunden
froh wieder dabei zu sein
will keine zeit verschwenden
lass die wuerfel rollen
die karten werden neu gemischt
es gibt einen spieler mehr

Sonntag, 9. November 2008

Wiedersehen

Du stehst nicht an der Tür, hast das Auto nicht gehört. Kein freudiges Strahlen, kein Hallo. Ich steige die regennassen Stufen hinauf, jede einzelne weckt hundert Erinnerungen. Ich klingel einmal, zweimal. Früher wär ich einfach an die Hintertür auf der Terrasse gekommen, dem Duft in die Küche gefolgt, hätte dich im Wohnzimmer gefunden. Das Türschloss klackert, ein Schlüssel wird herumgedreht. Einmal, zweimal. Schnecken ziehen sich in ihre Häuser zurück, wenn sie müde sind. Doch dann stehst du da, das Strahlen ist das gleiche. Du schließt mich in deine Arme, nichts ist ehrlicher als das Pochen deines Herzes. Ich gehe durch den Flur, muss mich an der Türschwelle zum Wohnzimmer bücken. Ich erkenne es wieder, es ist wie immer. Sogar die Spielzeugkisten stehen noch unter dem kleinen Schrank. Ein Nachmittag der Ruhe, ich habe mir Zeit genommen. Es ist gut dich zu sehen. Wir reden doch es ist belanglos, wollen wir doch nur wissen wie es dem anderen geht. Es ist einsam, sagst du, und ich kann es sehen. Als es draußen dunkel wird, muss ich gehen. Den Autoschlüssel in der Hand, ich drehe mich noch einmal um zu dir. Mach es gut, sage ich, wir sehen uns. Keine Lüge, aber mehr Wunsch als Glaube. Als die schwere Tür hinter mir ins Schloss fällt, umhüllt mich die Dunkelheit. Ich bleibe stehen, versuche diesen Moment in mir zu verewigen. Dein Lächeln zum Abschied, deine Stimme, dieses Haus. Am liebsten möchte ich zurückstürmen, zu dir rein, dich in die Arme schließen und schreien. Ich habe Angst, pass auf dich auf, ich habe Angst es ist das letze Mal.

Freitag, 7. November 2008

Es ist Montag

Als der voll besetzte Bus mit gleichmäßiger Geschwindigkeit über den Asphalt rollt, sind die Passagiere still. Keine Unterhaltungen, starre Blicke in die endlose Leere, die sich vor ihren Augen auftut. Nur das röhrende Geräusch des Motors erfüllt den Raum und hinterlässt eine kurzweilige Spur draußen auf der Straße. Eine scharfe Bremsung, eine Linkskurve. Fester umklammern die vielen Hände die dafür vorgesehenen Metallstangen, für einen kurzen Moment kommt es zu Berührungen sich fremder Schultern. Ein reflexartiger Ausgleich der Fliehkraft, die Blicke bleiben in der Ferne. Vorne im Bus hockt ein Mann quer auf seinem Sitz. So kann er die Haltestange besser greifen, wenn es nötig ist. In leicht gebückter Haltung und mit den Beinen gerade vor sich auf den Boden gestellt, wirkt er kleiner, als er es ist. Seine Hände sind auf dem Schoß gefaltet, in den Armen liegt ein schwarzer Rucksack. So sitzt er jeden Nachmittag um vier Uhr da, denn dann hat er Feierabend. Mit weit geöffneten Augen verfolgt er durch seine Brillengläser was um ihn herum geschieht. Da, eine Bewegung links von ihm, ein Mann greift in seine Hosentasche um ein Handy hervorzuholen. Ein Ellenbogen, der fast seine kurzen Haare streift, hastig guckt er hinauf. Doch meistens passiert nichts, regungslos fügen sich die Menschen den Bewegungen des Busses. Das versteht er nicht. Es ist ein schöner Nachmittag, findet er. Das Wetter ist gut, so wie es gestern in den neunzehn Uhr Nachrichten angekündigt worden war. Draußen die Landschaft und die Häuser der Stadt, in der er sich zu Hause fühlt. Sein Leben ist gut, denkt er. Von dem was er hat, kann er gut leben und Wünsche können in Erfüllung gehen, wenn man wirklich daran glaubt. Der grimmige Gesichtsausdruck der Frau auf dem Sitz gegenüber irritieren ihn. Stimmt etwas nicht? Ein junger Mann flucht, als er in der nächsten Rechtskurve kurz den Halt verliert. Einsame Worte, die in der allgemeinen Anteilslosigkeit untergehen. Mit seinen großen Augen hat er die Situation genau verfolgen können. So etwas passiert, denkt er sich. In diesem Moment ist durch die Fenster die Fassade der Kathedrale zu sehen. Zufrieden blickt er auf die großen Zeiger seiner Armbanduhr. Es passt, auch heute ist der Bus nicht spät. Schon die nächste Station ist seine. Nachdem der Bus zum Stehen gekommen ist, verlässt er seinen Sitz, setzt sorgfältig den Rucksack auf und hastet dann durch die Türen, bevor sich diese wieder schließen. Ein kurzes Getümmel, mit eiligen Schritten verschwinden die Mitausgestiegenen in verschiedenen Richtungen. Eine Frau steht einsam an der Bushaltestelle. Es ist seine. Er seufzt erleichtert und lächelt ihr zu. Verlegen lächelt Sie zurück, jeden Tag steht sie hier, wenn sie kann. Früher konnte sie öfter. Erst als er schützend einen Arm um sie legt, traut sie sich die viel zu warme Wollmütze abzunehmen. Es sind nur ein paar Meter bis zur Wohnung, sie schmiegt ihren kahlen Kopf an seine warme Schulter. Es ist Montag.

Samstag, 1. November 2008

Nur ein Wort

Ein Tag, das Wetter, die Beschäftigung. Ich sitze hier und bin. Bin nicht fröhlich, bin nicht einsam. Ich habe eine Beschäftigung und arbeite gewissenhaft. Doch meine Gedanken schweifen ab. Ich denke an Gestern, an Dich, an uns und Morgen. Das Licht geht schon aus, langsam gewöhnen sich meine Augen an den Schein der Straßenlaterne draußen vor dem Fenster. Erst diese Konstellation lässt den Staub, der sich über Jahre am Fenster gesammelt hat, sichtbar werden. Wie ein Schleier hat er wohl unbemerkt Tag für Tag meine Sicht nach draußen vernebelt. Doch da unten links entdecke ich eine Lücke im Staub, der auf meinem Fenster wie Schnee auf einer Winterwiese liegt. Es ist eine Zahl, jemand muss sie mit dem Finger auf das Fenster gemalt haben. Eins fünf fünf neun. Fünfzehn neunundfünfzig. Eintausendfünfhuntertneunundfünfzig. Dort auf dem Fenster nicht mehr als eine Zahl. Doch ich schlage das kleine vergilbte Wörterbuch auf und blättere Seite für Seite weiter. Da steht sie. Die Zahl, eintausendfünfhuntertneunundfünfzig. Knapp darunter dann in kleinen Buchstaben ein Wort: Vergnügt. Ich schaue noch einmal hin. Vergnügt. Mein Atem ist gleichmäßig, der Alltag macht gleichgültig. Doch das Wort löst etwas in mir aus. Wie eine Stimme, die leise anfängt in mir zu singen. Von den Füßen, in meinen Bauch, bis zum Kopf. Meine Hände fangen an zu zittern, die Mundmuskeln spannen sich an und meine Augen öffnen sich weit. Was ist das für ein Gefühl? Ich muss aufspringen und mich bewegen. Im starren Lichtschein der Nacht tanzt nun ein Schatten durch den Raum. Hin und her, fast lautlos, nur das Tapsen auf dem knatschenden Dielenfußboden ist zu hören. Dann Stopp, ich renne zum Fenster, an die Stelle, an der die kleinen Ziffern auf mich gewartet hatten. Fest Presse ich meine Nase an die kalte Scheibe, starre nach draußen und sehe die Straße. Jetzt muss ich lachen. Über mich, über die Bedeutungslosigkeit der Dinge, die auf meinem Schreibtisch liegen. Über die menschenleere Straße und über diese Nacht. Es wird eine lange werden, denn ich bin vergnügt. Ich bin die Nacht, das Gefühl und die Freiheit.

Das Foto

Irgendwie werden wir immer älter. Ich sehe mir die alten Fotos an, die von gestern und die von damals. Ich war jung, jünger. Das Leben war gut, ich hatte Spaß. Vergnügt grinse ich in die Kamera, das nächste Bild zeigt mich von hinten, ich renne. Dann bin ich wieder da. In ihren Armen. Er ist auch dabei. Es waren die schönen Momente. Doch auf jedes Hoch folgt ein Tief. Manchmal fliegen wir so tief, dass wir uns nicht mehr vorstellen können, wie es oben ist. Dann wieder sind wir oben, vergessen was war, sehen nach vorn. Doch wir werden älter. Stetig und wesentlich schneller als wir es wahrnehmen. Gestern war ich noch glücklich. Heute bin ich es auch, das werden die Fotos von übermorgen zeigen. Was sich ändert sind die Gedanken. Immer mehr und mehr sammeln sich an. Oft kommen sie an die Oberfläche, drängen sich in den Vordergrund, man versinkt in ihnen. Dann die Gegenwart, die einen wieder herausreißt. Lebe, die Zeit tickt jetzt und steht in der Vergangenheit. Was ist Glück, wenn es vergangen am schönsten ist? Was ist Freude, wenn es sie nicht ohne Zweifel gibt. Es spielt keine Rolle, sagt die Zeit, du wirst älter. Dann ein Foto, das ich ganz vergessen hatte. Ich sitze am Schreibtisch, ein Abend voller Gedanken. Das Foto habe ich selbst gemacht. Ich sage Hallo. Hallo Zukunft. Sieh mich an. Sieh wie stark ich bin. Voller Energie und Ideen. Das Datum auf der Rückseite zeigt mir, dass inzwischen fünf Jahre vergangen sind. Ein Blick in den Spiegel, ich habe mich nicht verändert. Verlegen grinse ich mich selber an. Da, stopp, dieser Moment. Halte ihn fest oder auch nicht. Aber da war er, der Moment für das Foto. Der Moment, der zeigt wie stark ich bin. Dieses mal nicht festgehalten auf einem Papier, aber dafür tief verankert in meinem Herzen. Danke ich, danke ich von vor fünf Jahren.