Montag, 8. Dezember 2008

Das kleine Mädchen

Angespannt sitzt es auf seinem Kinderstuhl, die Arme auf den Tisch gestützt. Das kleine Mädchen. Eine für seine Hände viel zu große Schere arbeitet sich zittrig durch das Papier. Gefährlich fest hat es seine Zunge zwischen die Zähne geklemmt, der Blick ist glasig konzentriert. Als wolle es die Figur mit den Zähnen aus dem Papier reißen, bewegt sich sein Kiefer angespannt hin und her, mit dem Kopf folgt es den Bewegungen der Schere. 

Scheppernd fällt die Schere auf den Tisch, das Mädchen springt auf, stößt dabei seinen Stuhl nach hinten um. Ein stolzes Strahlen dominiert sein Gesicht. Es zerknüllt das übrige Papier, wirft es in die Ecke und presst seinen neuen Schatz fest an die Brust. Seine Hand ist gerade groß genug um es zu verbergen - ein Herz aus Papier. Mit dem neuen Besitz kommt die Angst. Schnell rennt das Mädchen hinter das Bücherregal in die geheime Ecke. Es ist meins, denkt es sich. Das kleine Mädchen.

Auf der anderen Seite des Bücherregals hebt ein kleiner Junge das Blatt vom Boden auf. Auf dem verknitterten Papier erkennt er sein Bild. Ein großes herzförmiges Loch klafft in der Mitte. Was was er mühevoll gezeichnet hatte, verschwunden, herausgerissen. Mit großen Augen starrt er auf den Fetzen, den er in seinen Händen hält. Eine Träne kullert über seine Wange. Der kleine Junge.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

So früh fangen die Missverständnisse zwischen den Geschlechtern schon an. Das kleine Mädchen hat einen Schatz, der kleine Junge fühlt sich betrogen.
Schade eigentlich....